Luftkreuz Tempelhof
Benzinmotor und Propeller bleiben bis zur Entdeckung des Strahlantriebs die einzig praktikable Antriebsmethode der Flugzeuge. In den 1920er und 1930er Jahren geht es in der Zivilluftfahrt um die Entwicklung größerer und schnellerer Maschinen mit mehr Platz und Komfort für Passagiere sowie um die Ausdehnung des Streckennetzes in alle Regionen der Welt.
Der Vertrag von Versailles
Die Abrüstungsbestimmungen des Friedensvertrags, den das Deutsche Reich am 28. Juni 1919 in Versailles unterzeichnet, betreffen auch die Militärluftfahrt. Als Verursacher und Verlierer des Ersten Weltkriegs muss Deutschland seine Luftstreitkräfte auflösen, Anlagen und Flugzeuge zerstören oder an die Siegermächte abgeben. Die Vereinbarung gilt zunächst nicht für die Zivilluftfahrt. Erst im Mai 1921 werden im Rahmen des Londoner Ultimatums auch hier Beschränkungen wirksam. Weil sie unter anderem die Flugzeugproduktion betreffen, reagiert die Industrie mit Verlagerungen: Dornier produziert nun in Italien, Junkers in Russland und Schweden.
Mit dem Pariser Luftfahrtabkommen vom Mai 1926 enden die Restriktionen. Lediglich der Bau von gepanzerten und bewaffneten Maschinen ist weiterhin untersagt. Gleichzeitig schließen Deutschland und Frankreich ein Luftverkehrsabkommen: Ab Juni betreiben die Kontrahenten des Ersten Weltkriegs gemeinsam eine Fluglinie Berlin-Paris mit Zwischenstopp in Essen und Köln.
Ausbau des Zentralflughafens Tempelhof
Wegen der Auflagen des Versailler Vertrages wird auch das Tempelhofer Feld, das seit der Gemeindereform von 1920 zu Groß-Berlin gehört, nicht mehr als Exerzierfeld gebraucht. Der Berliner Stadtbaurat für das Verkehrswesen Leonhard Adler wendet sich gegen den Plan, hier ein Messegelände zu schaffen, und engagiert sich für den Ausbau des Feldes zum Flugplatz. Berlin soll eine stadtnahe, verkehrlich gut angebundene Alternative zu den abgelegenen Flughäfen Johannisthal und Staaken erhalten. Die Deutsche Aero Lloyd AG wie auch die Junkers Luftverkehrs AG unterstützen das Vorhaben durch die Vor-Finanzierung der ersten provisorischen Bauten. Sie lassen einen Abfertigungs- und Verwaltungsbau sowie zwei Flugzeughallen errichten.
Mit dem Linienflug Berlin-Königsberg wird am 8. Oktober 1923 in Tempelhof der Betrieb aufgenommen. Am selben Tag fällt der Entschluss des Magistrats, das Tempelhofer Feld zum Berliner Zentralflughafen auszubauen. Ausschlaggebend ist neben Adlers geschickter Verhandlungstaktik vor allem ein Signal der obersten Heeresleitung, den Preis für das Gelände zu senken.
Der Ausbau des Flughafens soll nun zügig beginnen. Im gedachten Schnittpunkt der jeweils verlängerten Lilienthal- und Paradestraße entstehen 1924/25 mitten auf dem späteren Rollfeld Hallen im Stil der Neuen Sachlichkeit. Im ersten Bauabschnitt wird auch das so genannte Radiohaus erstellt, das unter anderem die Luftüberwachungspolizei beherbergt. Als früher Vorgänger der Flugsicherung entscheidet sie über Starts und Landungen auf der Grundlage von Wetterbeobachtung und Windrichtung. An Bord sind dann Karte und Kompass die einzigen Hilfsmittel.
Die 1924 gegründete Berliner Flughafengesellschaft (BFG) betreibt den Flughafen; Leonhard Adler, der 1936 wegen seiner jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten ins Exil getrieben wird, ist Vorsitzender des Aufsichtsrats. Obgleich Berlin, Preußen und auch die Reichsregierung die BFG unterstützen, ist die finanzielle Lage angespannt; Flugschauen sollen für zusätzliche Einnahmen sorgen.
Nach fünf Jahren ist der Flughafen mit der Eröffnung des Hauptgebäudes fertiggestellt und bereits wieder zu klein. Gemessen am Passagieraufkommen ist Tempelhof 1930 der größte Flughafen Europas. Auch die Zahl der Flugverbindungen steigt; 71 Städte, davon 25 außerhalb Deutschlands, werden von Tempelhof angeflogen. Doch ein weiterer Ausbau des Flughafens kommt wegen der Wirtschaftskrise nicht in Betracht.
Die Junkers Luftverkehrs AG und vor allem die Deutsche Aero Lloyd bedienen das dichter werdende Streckennetz. Ab Sommer 1924 erprobt die Junkers AG mit Posttransporten den Nachtflug. Der erste nächtliche Passagierflug führt im Mai 1926 nach Königsberg. Die gesamte Strecke ist mit Lampen und Scheinwerfern markiert, alle 25 bis 30 km sind Drehscheinwerfer installiert; denn auch nachts fliegen die Piloten auf Sicht. Die Professionalisierung bringt der Instrumentenflug, der in Tempelhof ab 1930 möglich ist und zur Pflichtausbildung für Luft Hansa-Piloten gehört. Mit den Ozeanüberfliegungen wird der transatlantische Verkehr für Flugzeuge vorbereitet, die Schiffen und Luftschiffen hinsichtlich ihrer Geschwindigkeit von Anfang an überlegen sind.
Pioniere der Atlantikflüge
Am 20. und 21. Mai 1927 gelingt Charles Lindbergh in seiner einmotorigen „Spirit of Saint Louis“ die erste „Alleinüberquerung“ des Atlantiks. Ohne Zwischenhalt fliegt er in 33,5 Stunden von New York nach Paris. Nach dem ersten Nonstop-Atlantikflug der Briten John Alcock und Arthur Whitten Brown in einem umgebauten Langstreckenbomber des Ersten Weltkriegs am 14. und 15. Juni 1919 wird der amerikanische Pilot Lindbergh mit seiner Einzelleistung zu einem der prominentesten Protagonisten in der Geschichte der Luftfahrt.
Auch der Flughafen Tempelhof und das Berliner Publikum nehmen an dieser spektakulären Entwicklung teil. Am 7. Juni 1927 landet Clarence D. Chamberlin mit Passagier (und Navigator) Charles Levine in der „Columbia“ auf dem Berliner Flugfeld. Sie haben den Flug über knapp 6300 Kilometer von New York nach Berlin in 43 Stunden zurückgelegt. In Erinnerung an diesen Streckenrekord wird die Prinz-August-von-Württemberg-Straße in Columbiastraße umbenannt.
Im folgenden Jahr gelingt Ehrenfried Freiherr von Hünefeld, Hauptmann Hermann Köhl und Major James A. Fitzmaurice der transatlantische Gegenbesuch. In der Junkers W 33 „Bremen“ fliegen der Ire und die beiden Deutschen erstmals entgegen der Hauptwindrichtung von Ost nach West über den Ozean. Nach dem gelungenen Start in Irland erreichen sie in 36,5 Stunden die USA und werden dort von Präsident Hoover persönlich geehrt. Die Berliner empfangen die drei im Juni 1928 begeistert bei ihrem Besuch in Tempelhof.
Komfort für die Passagiere
Seit Anfang der 1920er Jahre wird die kontinentale Verkehrsluftfahrt für Passagiere immer attraktiver. Die Fluggesellschaften bieten nun Maschinen mit geschlossenen Kabinen – vorbei die Zeit der Fliegerkleidung, Sturzhelme und Schutzbrillen, die Fluggäste leihweise von der Luftfahrtgesellschaft erhielten. An Bord von kleinen einmotorigen Maschinen finden sie jetzt Picknickkörbe vor; auf den deutschen Sonntags-Verbindungen werden ab 1928 ganze Mahlzeiten angeboten. Mit Einführung der viermotorigen Ju 90 und der Focke-Wulf Fw 200 „Condor“ beginnt die Ära der Flugbegleiterinnen – ein Dienst, für den 1930 von Boeing Air Transport zunächst ausgebildete Krankenschwestern verpflichtet werden. Sessel, Rauchersalons und Schlafkabinen bieten an Bord allen erdenklichen Komfort.
Größere und schnellere Maschinen wie die Junkers Ju 52, Tante Ju genannt, die Ju 160 oder die Focke Wulf Fw 200 „Condor“ bringen im Laufe der 1930er Jahre immer mehr Menschen in immer kürzerer Zeit an ihr Ziel. Mit der einmotorigen Heinkel He 70, dem schnellsten Verkehrsflugzeug seiner Zeit, eröffnet die seit einem Jahr umbenannte Lufthansa 1934 ihre „Blitzstrecke“ Berlin-Frankfurt am Main. War Fliegen bisher, nicht zuletzt wegen der Lage der Flughäfen, kaum schneller als eine Bahnfahrt, spart eine Flugreise nun wirklich Zeit. Das Flugzeug nimmt seinen Spitzenplatz unter den Verkehrsmitteln ein.
Entwicklung der Lufthansa
Hinter der 1917 gegründeten „Deutschen Luft-Reederei GmbH“ (DLR), dem weltweit ersten Unternehmen zur Personenbeförderung per Flugzeug, stehen die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG), die Deutsche Bank, die Hapag und der Luftschiffbau Zeppelin. Nach der Einrichtung des ersten kommerziellen Liniendienstes Berlin-Weimar im Jahr 1919 werden bald darauf im Post- und Passagierdienst auch Hamburg, Gelsenkirchen und Swinemünde angeflogen. Die Maschinen der DLR tragen bereits den von Otto Firle entworfenen Kranich am Leitwerk.
Der Gründungsboom im jungen Unternehmenszweig „Verkehrsluftfahrt“ führt angesichts wirtschaftlicher Zwänge rasch zu Fusionen. Gegen die Konkurrenz der Junkers Flugzeugwerke in Dessau schließen sich im Februar 1923 die DLR und die Lloyd Luftdienst GmbH in Berlin zur Deutschen Aero Lloyd AG zusammen. Auf der Höhe des Konkurrenzkampfes greift 1925 das Reichsverkehrsministerium ein. Es will Industrie- und Verkehrsinteressen trennen, bietet den in akute Finanznot geratenen Junkers Werken eine Sanierung an, wenn Junkers seine Luftverkehrssparte dem Ministerium überlässt, und drängt zugleich auf eine weitere „Markt-Bereinigung“. Am 6. Januar 1926 geht aus dem Zusammenschluss von Aero Lloyd und Junkers die Deutsche Luft Hansa AG hervor. Mit dem Kranich der DLR verbinden sich die Farben der Junkers Luftverkehrs AG zum bekannten blau-gelben Logo der Lufthansa. Tempelhof ist bis 1945 ihr Heimatflughafen.
Im Sommer 1926 bedient die Luft Hansa bereits 64 Linien. Zur Vorbereitung von Fernstrecken unternimmt sie Expeditionsflüge, etwa nach Ostasien oder Brasilien. In zehn Etappen fliegen 1926 zwei Junkers G 24 nach Peking und ein Flugboot Dornier Wal nach Südamerika. Parallel dazu werden das Netz für Fracht- und Poststrecken ausgebaut und Erfahrungen mit Langstreckenflügen gesammelt. 1932 nimmt die Luft Hansa einen Spitzenplatz unter den Luftfahrtgesellschaften ein. Ihre Flotte umfasst 155 Maschinen, das Streckennetz mehr als 27 500 Kilometer. In seinem Zentrum liegt Tempelhof.
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten verliert das Verkehrsministerium die Verantwortung für die Belange der Luftfahrt. Ab Mai 1933 ist Reichsluftfahrtminister Hermann Göring zuständig, der die gesamte Luftfahrtindustrie zum zunächst geheimen Aufbau der Luftwaffe heranzieht. Am Leitwerk tragen die Lufthansa-Maschinen bis 1945 das Hakenkreuz.
St. Endlich, M. Geyler-von Bernus, B. Rossé
Literatur
Deutsche Lufthansa (Hrsg.), Start und Ziel: Berlin, o. O., 1985
Museum für Verkehr und Technik (Hrsg.), Hundert Jahre deutsche Luftfahrt. Lilienthal und seine Erben, Güthersloh/München 1991
Hans Werner Neulen, Deutsche Lufthansa. Der Kranich in Turbulenzen 1939-1945, Lemwerder 2003
Frank Schmitz, Flughafen Tempelhof. Berlins Tor zur Welt, Berlin 1997
Michael Thiele, Von Berlin aus in die Welt, in: Bezirksamt Tempelhof von Berlin (Hrsg.), Landing on Tempelhof. 75 Jahre Zentralflughafen – 50 Jahre Luftbrücke, Ausstellungskatalog, Berlin o. J. (1998)